Ich hab ja leider den Lesezirkel verpasst, weil mein Exemplar von »Starship Troopers« erst später eingetroffen ist, aber mittlerweile habe ich es auch fertig gelesen...
Nun ja, ich bin ganz ehrlich: es fällt mir schwer, ein objektives Urteil abzugeben. Denn ich kann mich nicht erinnern, schon jemals einen Roman gelesen zu haben, bei dem meine eigenen Überzeugungen und die von den Protagonisten vertretenen Moralvorstellungen so stark voneinander abwichen. Erschwerend kommt dabei hinzu, dass mir nicht sicher bin, inwieweit sich Heinleins Vorstellungen mit denen von Johnny und dem Rest der Mobilen Infanterie decken.
Oder anders gesagt – wenn ich nach der Lektüre froh bin, in einer freiheitlich demokratischen Grundordnung zu leben und nicht in der terranischen Föderation, ist das dann eine Reaktion die Heinlein eingeplant hat? Oder wollte er vielmehr eine Utopie beschreiben, die man als Leser für erstrebenswert halten sollte und die weitgehend seinen eigenen Ansichten entsprach? Letzteres fände ich nämlich wirklich schauderhaft.
Schon der Kampfeinsatz zu Beginn hatte einen gewissen faden Beigeschmack. Johnny wirkte weitestgehend gefühllos (bis auf die Angst vorm Absprung) und führte seinen Auftrag aus, ohne groß darüber nachzudenken. Er setzte Mini-Atombomben gegen die Zivilbevölkerung ein, warf eine Granate in einen Gemeinderaum der
»Bohnenstangen« und sagte dann
»Ich halte es für humaner, einen Mann zu erschießen« etc. Dann setzte die Rückblende ein und ich dachte mir, dass ich ab jetzt erfahre, wie Johnny solch eine rücksichtslose Kampfmaschine werden konnte. Na ja, im Prinzip ist das ja auch so. Aber je mehr dann der Roman voranschritt, desto mehr verfestigte sich in mir der Gedanke, dass der Beginn gar nicht abschreckend wirken sollte. Und spätestens ab dem Punkt, als
Johnny überm Berg ist – was auf mich wie das Brechen seines freien Willens wirkte – wurde die Lektüre immer unangenehmer, weil der Johnny aus dem ersten Kapitel zunehmend wie das zu erreichende Ideal erschien.
Zu Beginn gab es wenigstens noch den Vater, der sich kritisch gegen Johnnys Wunsch zur Verpflichtung stellte. Wenngleich auch aus seltsamen Gründen (
»Hätten wir einen Krieg, wäre ich der Erste, der dich ermunterte...«), aber das ist wohl eindeutig dem Zeitgeist geschuldet. Doch später herrschte eine völlig einseitige Betrachtungsweise vor, die oftmals darauf hinauslief, dass Johnny etwas erzählt wurde, was dieser vorbehaltlos abnickte. Und immer waren es dieselben gestrengen, jedoch wohlmeinenden Vaterfiguren, die auf mich wie ein und derselbe Offizier wirkten. Sie dozierten über dieses und jenes, und Johnny übernahm es sofort in sein Weltbild.
Da man andererseits schon früh etwas über seinen Unterricht in
Geschichte & Moralphilosophie erfuhr, dessen Lehrer die erste dieser Vaterfiguren war, verwunderte mich das auch nicht sonderlich, denn schon hier zeigte sich ein perfides System der Beeinflussung, ja eigentlich der Gehirnwäsche. Was mir dann aber sauer aufstieß, war, dass die einzige Person (Johnnys Vater), die dies an- bzw. aussprach, später selbst der Truppe beitrat mit der hanebüchenen Begründung, eifersüchtig auf die Entscheidung des Sohnes gewesen zu sein. Und er tat dies aus freien Stücken, ohne erkennbare Manipulation wie bspw. im
G & MP Unterricht
. Spätestens da kam ich mir als Leser irgendwie verschaukelt vor, denn es vermittelte das Gefühl, ich hätte mich ebenso geirrt wie Johnnys Vater.
Darüber hinaus war das, worüber Johnnys Ausbilder philosophierten, oftmals viel zu vereinfacht dargestellt und manches war schlicht und ergreifend falsch. Beispielsweise die vertretene These, dass staatlich angewandte Gewalt die (Jugend-)Kriminalität senken könnte. Ich musste dabei unweigerlich an David Simons Reportage »The Corner« denken. Mir soll mal einer der Ausbilder erklären, wie Peitschenhiebe einen Jugendlichen auf den rechten Weg bringen sollen, der in einem Viertel aufwächst, in dem die einzig funktionierende Ökonomie der Drogenhandel ist und in dem die Gefahr, ein Opfer von Gewalt zu werden, an der Tagesordnung steht (nicht nur von Dealern oder Süchtigen ausgeübt, sondern in seltenen Fällen auch von der Polizei). Gewalt hat noch nie Infrastruktur geschaffen und dabei ist es diese, die Wege aus der Kriminalität eröffnet.
Auch die These, dass ein Verteidigungskrieg zum Scheitern verurteilt wäre und man deshalb gezwungen sei, die Bugs anzugreifen, wurde in der Geschichte schon mehrfach widerlegt. Zwar passierten die beiden Beispiele, die mir zuerst in den Sinn kamen (die Mudschaheddin in Afghanistan und der Vietcong in Vietnam) erst nach dem Verfassen des Buches, aber selbst vor 1959 gab es sicherlich Vorkommnisse, die vom Standpunkt der Protagonisten her diese Behauptung ebenso entkräftet hätten.
Ich könnte jetzt noch einige andere Beispiele aufzählen, bei denen ich teilweise den Kopf geschüttelt habe. Wobei ich Johnnys Ignoranz noch wesentlicher schlimmer fand, als die offensichtlichen Fehlinformationen seiner Ausbilder. Und ich gebe zu: manchmal wäre ich wirklich gerne ins Buch gesprungen, um Johnny eine Schelle zu verpassen, in der Hoffnung, dass ihn settinggemäße Gewaltanwendung zur Vernunft bringen würde.
Apropos Gewalt. Am Ende des Romans hatte ich das Gefühl, dass man ihn auch unter dem Titel »Johnny zieht in den Krieg Teil 2 – Alles halb so wild« hätte herausbringen können. Das Buch war zwar nicht direkt gewaltverherrlichend, doch es gab im gesamten Roman auch niemanden, den die Kämpfe traumatisiert hätten. Jeder Soldat starb ehrenvoll und ohne einen Mucks von sich zu geben und dessen Kameraden taten dies dann mit einem Schulterzucken ab, was für mich im krassen Gegensatz zum vielbeschworenen
esprit de corps stand.Da fielen reihenweise Soldaten, die Johnny als seine Freunde bezeichnete, und es schien ihn nicht zu jucken. Der Tod seines besten Freundes wurde in zwei Nebensätzen abgehandelt (vom Tod seiner Mutter ganz zu schweigen). Johnny wirkte, als hätte man ihm komplett seine Menschlichkeit ausgetrieben. Ich wüsste nicht, was daran erstrebenswert sein sollte – falls Heinlein tatsächlich darauf abzielte, eine positive Utopie zu verfassen. Nur als Lieutenant Rasczak fiel, war Johnny am Boden zerstört, und mir wäre in diesem Moment am liebsten schlecht geworden.
Auch über die Hintergründe erfuhr man zu gut wie gar nichts. Die Menschheit befindet sich im Krieg. So weit, so schlecht – erst recht, weil manche Szenen den Eindruck vermittelten, dass nur wegen dieses Krieges auf der Erde Friede Freude Eierkuchen herrschte. Wer diesen Krieg angefangen hat, wird nie erwähnt. Doch Johnnys Aussage, dass die Menschen Tiere sind, die sich ausbreiten müssten, weckte in mir den Eindruck, dass die Menschen durchaus den ersten Stein geworfen haben könnten. Und letztendlich sind sie es ja auch, die die Heimatwelten der Bugs und Skinnies besetzen wollen. Im Gegenzug geht es den Menschen zuhause angeblich so gut wie nie zuvor, ohne dass das irgendwie belegt wäre.
Das politische System blieb ebenso im Unklaren. Es wird zwar erklärt, dass die Demokratien des zwanzigsten Jahrhunderts scheiterten, aber nicht was an dessen Stelle trat. Was für mich dann auch die Motivation, das Wahlrecht zu erwerben, ad absurdum führt. Der Knackpunkt liegt in meinen Augen darin, dass Johnny scheinbar selber nicht weiß, was er mit dem Wahlrecht anfangen kann, sonst würde er es dem Leser irgendwann einmal sagen. Einer seiner Ausbilder (Major Reid) erklärte nur, dass sich ihr System halten würde, weil es sich bewährt hätte. Eine mehr als unbefriedigende Antwort. Und der Zusatz, dass es zwar viele Beschwerden, aber keine Aufstände gäbe, weil jeder, der bereit wäre für eine Sache zu sterben, dem herrschenden System beitreten würde, war in meinen Augen fast eine Verhöhnung aller Menschen, die ihr Leben für den Widerstand gegen eine Diktatur gelassen haben.
Wahrscheinlich könnte ich jetzt noch seitenweise weiter ausführen, warum ich froh war, als ich »Starship Troopers« endlich hinter mir hatte, aber ich denke, es reicht erstmal. Vielleicht bin ich ja als anerkannter Kriegsdienstverweigerer (normalerweise würde ich
Zivi sagen, aber hier scheint mir die offizielle Bezeichnung passender) von vornherein das falsche Publikum für diesen Roman gewesen. Und vielleicht würde ich ihn anders beurteilen, wenn ich Berufssoldat wäre – schwer zu sagen. Was ich weiß, ist, dass mir »Starship Troopers« nicht gefallen hat.
Wobei ich fairerweise sagen muss, dass Heinlein gut schreiben konnte (in den Momenten, in denen seine Figuren nicht dozierten). Andernfalls hätte ich das Buch möglicherweise sogar abgebrochen, was ein absolutes Novum für mich gewesen wäre. So bleibt letztendlich nur zu sagen, dass ich Heinlein nach diesem eher abschreckenden Einstieg in sein Schaffenswerk durchaus noch eine Chance geben würde, wenn mir jemand einen Roman von ihm empfehlen kann, in dem entweder anderer politische Ansichten vertreten werden oder – falls es wirklich Heinleins tiefste Überzeugungen waren – ein Roman, in dem er weitestgehend mit seiner Weltsicht hinterm Berg hält.
Seti
PS: Weiß jemand, ob die Zahl 31 irgendeine besondere Bedeutung für Heinlein hatte?
Denn im Roman …
… ist während der Rekrutenausbildung von den 31 Bruchlandungen die Rede
… wird während der Offiziersausbildung das Formblatt 31 mehrmals erwähnt (das augenscheinlich in keinem Zusammenhang mit den Bruchlandungen steht)
… gehört Johnny dem 3. Regiment der 1. Infanteriedivison an
… ist auf der letzten Seite davon die Rede, dass es noch 31 Sekunden bis zum Absprung sind
Ist das nur Zufall oder steckt eine Bedeutung dahinter?
Bearbeitet von Seti, 21 Oktober 2012 - 17:31.